Wozu braucht es Meister Propper, wächst doch im Garten die Rosskastanie?
In der Tat: Die glänzend-braunen Samen der Rosskastanie können nicht nur Putzmittel ersetzen, sondern genauso Schampoo, Waschmittel und Duschgel. Sie enthalten, ähnlich wie Seifenkraut, sehr viele Saponine. Schüttelt man ein Gefäß mit zerkleinerten Stücken der Samen, bildet sich ein stabiler Schaum. Seine Haupt-Eigenschaft: Er setzt die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten herab. Dadurch können sich Wäsche und Wasser sehr viel besser durchdringen als ohne diesen Zusatz. Schmutz löst sich, die Wäsche wird sauber. Einziger Nachteil: Rosskastanien duften nicht. Aber ein paar Tropfen ätherisches Öl beheben dieses Manko.
Die Saponine in der Rosskastanie sind es auch, die sie zu einer wichtigen Heilpflanze machen. Aescin, eine Mischung aus 30 verschiedenen Triterpensaponinen der Rosskastanie, wirkt gefäßverstärkend, gefäßabdichtend (antiexsudativ), schützt vor Ödemen (Blutstau), steigert die Spannkraft der Venen (venentonisierend) und ist entzündungshemmend. Darum ist Rosskastaniensamenextrakt eines der wichtigsten Mittel bei Venenleiden. Die Kommission E empfiehlt Kastanien ausdrücklich bei chronisch venöser Insuffizienz, bei Wadenkrämpfen, Juckreiz und Beinschwellungen. Auch vor langen Flugreisen empfehlen die Autoren des “Leitfadens” Rosskastaniensamen, um Venenproblemen vorzubeugen. Manche Untersuchungen legen nahe, dass die Wirkung der Rosskastanie ähnlich effektiv sein kann wie Kompressionsstrümpfe. (Cochrane, 14. 11. 2012)
Entscheidend bei der Behandlung von Venenleiden ist der Aescin-Gehalt der gewählten Medikamente. Schilder u.a. empfehlen eine Tagesdosis von 100 mg. Verwendet werden innerlich ehanolisch-wässrige Extrakte (zwei mal täglich 250 bis 312,5 mg) in retardierter (verzögerter) Darreichungsform. Bei der inneren Anwendung werden in Einzelfällen Juckreiz, Übelkeit, Magenbeschwerden als Nebenwirkungen beobachtet, Kontraindikationen sind keine bekannt. Alternativ oder ergänzend zur innerlichen Einnahme können äußerlich Salben mit Rosskastanienextrakt oder reinem Aescin verwendet werden. Selbstmedikationen bei der innerlichen Einnahme sollten unterbleiben, denn Rosskastanien sind bei Überdosierung schwach giftig. “Es kommt zu Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen. Nach Literaturangaben wurden Hautrötung, weite Pupillen, Angstgefühle und Schläfrigkeit nach Roßkastaniengenuß beobachtet”, heißt es auf der Internetseite der Informationszentrale gegen Vergiftungen. Tropfen für den äußerlichen Gebrauch können dagegen selbst hergestellt werden. Ein Rezept für ein Venenspray gibt es im Tinkturenbuch von Rudi Beiser und Helga Ell-Beiser. In der Schwangerschaft und Stillzeit sollte Rosskastanie nicht verwendet werden, da es keine entsprechenden Untersuchungen gibt. Menschen, die Medikamente zur Hemmung der Blutgerinnung einnehmen, sollten sich vor der Verwendung von Rosskastanienextrakt mit ihrem Arzt beraten. Die Saponine der Rosskastanie dürfen auf keinen Fall in die Blutbahn gelangen, da schon geringe Dosen die roten Blutkörperchen zerstören können. Darum ist bei Geschwüren im Magen und im Darm Vorsicht geboten.
Ein paar Takte zur Geschichte: Erst ab dem 16. Jahrhundert verbreitete sich die Kastanie in Europa, ab dem 18. Jahrhundert wurde sie zum Modebaum für Alleen und Parks, im 19. Jahrhundert kam sie in die “Volksgärten” und ist heute noch Wahrzeichen eines jeden anständigen Biergartens. “Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die gesamten in Europa angepflanzen Kulturbäume der Gewöhnlichen Rosskastanie von den 1576 nach Wien mitgebrachten Samen abstammen”, heißt es bei Wikipedia.
So verbreitet der Baum in Mitteleuropa mittlerweile ist – sein Bestand ist alles andere als gesichert. Die Rosskastanienminiermotte, die die Blätter befällt, breitet sich seit den 80er Jahren aus und schwächt die Bäume. Und seit einigen Jahren befällt das Bakterium Pseudomonas syringae pv. aesculi die Rinde. Es kann ganze Bäume zum Absterben bringen, effektive Gegenmaßnahmen fehlen. “Die ersten Großstädte kapitulieren bereits und pflanzen kaum noch nach”, heißt es in “Spiegel online” vom 2. November 2016.
Dabei ist die Kastanie – die übrigens nichts mit der essbaren Edelkastanie zu tun hat außer einer oberflächlichen Ähnlichkeit der Samen – wohl neben Tanne und Fichte der beliebteste Baum in Mitteleuropa. In jedem Biergarten stehen Kastanien, in jedem Kindergarten wird mit ihnen gebastelt, Jäger und Zoos verfüttern sie an Wildtiere, Schreiner nutzen ihr Holz. Früher färbte man mit Blättern und Rinde der Kastanie Schafwolle. Und angeblich nutzten die Engländer in beiden Weltkriegen Kastanien, um aus ihnen Aceton zu gewinnen, das zur Herstellung eines Sprengstoffs diente.
Auf die letztgenannte Nutzung könnte man getrost verzichten. Aber nicht nur für die Medizin, nicht nur für die Putzteufel unter dem umweltbewussten Hausfrauen wäre das Verschwinden der Kastanie ein unersetzlicher Verlust. Denn was wäre ein Frühling ohne die leuchtend-weißen, duftenden Blütenkerzen des Baumes, ein Herbst ohne die glänzend-braunen Samen in ihren grün-stacheligen Schalen?
Langweilig!
Literatur:
Beiser, Rudi, Ell-Beiser, Helga: Heilpflanzen-Tinkturen, Stuttgart 2017
Bühring, Ursel: Praxislehrbuch Heilpflanzenkunde, Grundlagen-Anwendung-Therapie Stuttgart 2014
Grünwald, Jörg, Jänicke, Christof: Grüne Apotheke, München 2015
Schilcher, H., Kammerer, S., Wegener, T.: Leitfaden Phytotherapie, München 2010
Links:
www.arzneipflanzenlexikon.info
http://wirksam-oder-unwirksam.blogspot.com
www.taz.de 11. März 2008